Oberschlesien, eine Industrieregion mit reicher Geschichte, interessanter Gegenwart und europäischer Zukunft
„So recht zu kategorisieren, ‚faßbar’ oder erfaßbar ist das alles nicht, nicht in seiner Nationalität, nicht in seiner Religiosität, manches erinnert an den Kohlenpott, als wäre er nach Osten verrutscht, aber zutreffender wäre wohl, den Kohlenpott als ein nach Westen verrutschtes Oberschlesien zu bezeichnen“,
schreibt Heinrich Böll unter dem Titel „Das Schmerzliche an Oberschlesien” in seiner Rezension von Horst Bieneks „Die erste Polka” über das Oberschlesien der Vorkriegszeit. Er spielt damit sowohl auf die historischen Beziehungen zwischen den beiden Industrieregionen an, die durch die Zuwanderung oberschlesischer Menschen ins Ruhrgebiet gekennzeichnet sind – Erwerbsmigranten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, denen nach 1945 Flüchtlinge und Vertriebene und später Aussiedler folgten – als auch auf strukturelle Ähnlichkeiten. Zu ihnen kommen jetzt mit dem Rückgang der Montanindustrie vergleichbare Probleme der Umstrukturierung.
„Oberschlesien ist nicht Schlesien, es ist beides nicht eindeutig: weder deutsch noch polnisch, und seine Unabhängigkeitsansprüche waren gar nicht weit hergeholt, wenn auch politisch hoffnungslos. (…) zerquetscht und ständig hin und her gerissen zwischen zwei anspruchsvollen, total humorlosen Nationalismen, waren´s die Leute einfach leid, ständig ‚bekennen’ zu müssen,”
schreibt Böll weiterhin und verweist damit auf die wechselvolle Geschichte Oberschlesiens im 20. Jahrhundert, als es Zankapfel zwischen Deutschen und Polen war. Als Folge des Zweiten Weltkriegs gehört Oberschlesien zu Polen. Viele Oberschlesier flohen, wurden vertrieben oder sahen sich zur Aussiedlung veranlasst. Oft war dabei Nordrhein-Westfalen ihr Ziel, so dass viele Einwohner von Nordrhein-Westfalen oberschlesische Wurzeln haben. Andererseits fanden Ostpolen, die ebenfalls vertrieben worden waren, in Oberschlesien eine neue Heimat.
Die heutige Wojewodschaft Schlesien hat das oberschlesische Industriegebiet zum Kern, umfasst aber auch die im Süden angrenzenden Beskiden und reicht durch die Einbeziehung der Region um Tschenstochau über die historische Nordostgrenze Oberschlesiens hinaus. Zum historischen Oberschlesien und damit zum Interessengebiet des Oberschlesischen Landesmuseums gehören aber auch die Wojewodschaft Oppeln und südwestlich angrenzende Gebiete im heutigen Tschechien. Auf der Suche nach ihrer Identität besinnen sich die Wojewodschaften Schlesien und Oppeln auf ihre Geschichte und Kultur, auch auf den deutschen Anteil, für den jetzt die deutsche Minderheit steht. Sie empfinden sich als eine Region, die von vielen Kulturen geformt wurde, und unterscheiden sich durch diese Besonderheit von anderen Regionen Polens. Auch im schlesischen Teil Tschechiens knüpft man an schlesische Traditionen an.
1964 hat das Land Nordrhein-Westfalen angesichts der vielfältigen Verbindungen beider Regionen eine Patenschaft über die Oberschlesier übernommen und am 1. September 2000 mit der Wojewodschaft Schlesien eine „Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit und den Ausbau der freundschaftlichen Beziehungen” unterzeichnet, die seitdem mehrfach bekräftigt und intensiviert worden ist. Diese Partnerschaft gibt den zahlreichen staatlichen und privaten Initiativen und den sich daraus entwickelnden Beziehungen einen offiziellen Rahmen. Die „Gemeinsame Erklärung” sieht eine „Vertiefung des kulturellen und sprachlichen Austausches zwischen beiden Regionen unter besonderer Berücksichtigung der Interessen der Menschen mit polnischer bzw. deutscher Abstammung an der Bewahrung der Identität” vor. Das Oberschlesische Landesmuseum begleitet diesen Austausch mit entsprechenden Aktivitäten und versteht sich als Informationszentrum.
Weiterführende Links:
Eine Informative Seite zum deutsch-polnischen Verhältnis im Laufe der Jahrhunderte bietet der Rundfunk Berlin-Brandenburg RBB.
Die Zwischenkriegszeit in Oberschlesien beleuchtet auf einer anschaulichen Seite das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung.