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Aktuelle Meldungen

Geld für die Ukraine

500 Griwna Kopie
1000 Griwna Kopie

Am 4. August 1919 stürzte zwischen Ratiborhammer und Dziergowitz ein Flugzeug in den Wald und brannte vollständig aus. Im Gegensatz zu den geborgenen acht völlig verkohlten Leichen der Besatzung, sorgte die im Wald umherfliegende Fracht für weitaus mehr Aufregung. Aber der Reihe nach…

Unsere kleine vergessene Geschichte ist nun 100 Jahre her und beginnt in Düsseldorf. Dorthin zog sich die in Auflösung begriffene Riesenfliegerabteilung (RFA) 501 nach der Rückkehr aus dem Weltkrieg zunächst zurück. Die verbliebenen vier- und fünfmotorigen Nachtbomber, deren Besatzungen sowie Wartungspersonal wurden in den Wintermonaten 1918/19 über Hannover nach Döberitz bei Berlin zurücküberführt. Mannschaften wurden auf eigenen Wunsch zum Arbeiter- und Soldatenrat entlassen. Die verbliebenen Offiziere schlossen sich verstärkt dem freiwilligen Grenzschutz und den Freikorps an, als im Mai 1919 eine Anfrage des jungen deutschen Luftverkehrsunternehmens „Deutsche Luft-Reederei“ (DLR) den ehemaligen Kommandeur der RFA 501, Hauptmann Richard von Bentivegni, auf ein abenteuerliches Unternehmen vorbereitete.

R.69 in Kam.-Podolsk  DEHLA

Die Staaken R.69 konnte wegen fehlenden Brennstoffs das ukrainische Landefeld erst nach sechs Wochen wieder verlassen. Im Tausch gegen
Zucker und Spiritus konnte der nötige Sprit in Rumänien organisiert werden.

Nach dem Abzug deutscher und österreichisch-ungarischer Truppen aus der Ukraine nach dem Ersten Weltkrieg fand die dortige Separatistenbewegung Beistand durch die deutsche Politik im Kampf gegen die Vereinnahmung durch polnische und bolschewistische Truppen. Alfred Keller, Leiter des DLR-Landflugdienstes, forderte Bentivegni auf, sich mit ausgewählten R-Besatzungen an einem Luftverkehr nach der Ukraine zu beteiligen. Zu diesem Zweck sollten die fabrikneuen Maschinen des Typs Staaken R.XIVa mit den Militärnummern R.69, R.70 und R.71 vom Flugfeld Hundsfeld bei Breslau aus operieren. Was wirklich hinter dem Unternehmen steckte, erfuhren die Besatzungen bei ihrer Instruktion in der DLR-Zentrale Johannisthal.

Nachdem die Rote Armee auf Kiew vorgerückt war und Simon Petljura am 14. Januar 1919 die „Volksrepublik Ukraine“ ausgerufen hatte, wurde Berlin um Hilfe gebeten, eine eigene Währung zu gestalten und Papiergeld zu drucken. Der Notenvertrag, der bereits Ende April 1918 zustande gekommen war, sah einen Gesamtumfang von einer Milliarde Griwna vor. Die Reichsdruckerei gestaltete sieben verschiedene Scheine im Wert von 2, 5, 10, 20, 100, 500  und 1000 Griwna. Insgesamt wurden in Berlin 55.910.000 Scheine gedruckt und in Kisten nach Breslau-Hundsfeld expediert. Diese konnten nicht über den Landweg in die Ukraine weiter transportiert werden, da Polen, Rumänien und die Tschechoslowakei dies zu verhindern versuchten beziehungsweise sich noch in Kampfhandlungen mit dem deutschen Grenzschutz befanden.

Hundsfeld konnte aufgrund der bestehenden Infrastruktur sofort genutzt werden, um am 16. Juni die zunächst eintreffenden R.69 und R.70 für den Langstreckenflug vorzubereiten. Einen Tag später hob die R.69 unter dem Kommando des Oberleutnant Wilhelm Meyer voll beladen nach Iwanie-Puste in Galizien ab, wo sie nach einer Flugzeit von siebeneinhalb Stunden über Funk das Landesignal an die Funken-Großstation Breslau weitergab. Damit waren die ersten drei Kisten mit Banknoten abgeliefert – ein Tropfen auf den heißen Stein. Über einen Monat lang blieb der Breslauer Stationsleiter Carl-August von Gablenz ohne weitere Information aus dem umkämpften Gebiet, bis endlich die Nachricht durchdrang, dass die R.69 auf dem Rückflug über Wien am 29. Juli durch die Entente beschlagnahmt worden war. Umgehend wurden die beiden anderen fünfmotorigen Maschinen zum Abflug vorbereitet, der am Vormittag des 4. August 1919 zu einem weiteren Schicksalsschlag führen sollte. Nach dem Start der R.70 hielt die Besatzung unter Hans Wolf von Dickhut-Harrach vergeblich Ausschau nach der ihr folgenden R.71 des Kommandanten Johannes Ohlrau.

R.69 nach Landung in Wien DEHLA
R.69 Kommandant Meyer DEHLA
Nach einer Flugzeit von über sieben Stunden landete das Riesenflugzeug R.69 am 29. Juli 1919 auf dem Flugfeld von Wien-Aspern, um die an Bord befindlichen Passagiere abzusetzen. Für den aus Pommern stammenden Bordkommandanten Wilhelm Meyer (rechts) war damit das Unternehmen beendet, da italienische Entente-Truppen das Flugzeug beschlagnahmten. Im Freien verankert wurde R.69 von einem Sturm im Januar 1920 zerstört.

Vergeblich, denn nach etwa 150 Flugkilometern war die R.71 über dem Raudener Forst zwischen Ratiborhammer und Dziergowitz brennend abgestürzt. Erste Annahmen, dass polnische Grenztruppen das Flugzeug abgeschossen haben könnten,  erwiesen sich während der polizeilichen Untersuchung als unhaltbar. Die Maschine flog in etwa 2500 Metern über den Wolken und damit außerhalb der Sicht jeglicher Geschützvisiere. Rätselhaft bleibt allerdings der durch mehrere Zeugen bestätigte Knall einer Explosion, die zum Abreißen einer Tragfläche und damit zum Absturz führte. Die Presse sprach damals von einer möglichen Motorexplosion, aber so etwas gibt es außerhalb Hollywoods nicht. Die einzige Erklärung wäre eine Zerstörung der Tankanlage im Rumpf gewesen – aber wie sollte dies passiert sein? Die zehn Rumpftanks à 350 Liter waren beschusssicher und im Krieg erprobt. Selbst auslaufendes Flugbenzin hätte sich nicht an den heißen Auspuffkrümmern entzünden können, was ebenfalls eine Lehre der Front darstellte. Neben den sechs Mann der Besatzung befanden sich auch zwei hochrangige ukrainische Passagiere an Bord. Der Staatssekretär für das Heereswesen Oberst Dimitry Witowsky und sein Adjutant Leutnant Julien Tschutschmann. Beide sind zuvor über Umwege von Verhandlungen mit der Entente aus Paris nach Breslau gereist, um per Flugzeug in die Heimat zurückzukehren. Ist also die Annahme, dass möglicherweise ein Attentat hinter dem Absturz steckt, wirklich so abwegig? Beweisen lässt sich das nach 100 Jahren nicht mehr. Eine Flugunfalluntersuchungsstelle wie wir sie heute kennen gab es damals nicht. Zwei der drei Transportkisten mit den Banknoten konnten unversehrt durch das Freikorps Paulsen aus den Trümmern hervorgezogen werden. Die dritte Kiste jedoch platze beim Aufschlag im Wald auseinander und die Scheine verteilten sich sehr zur Freude der neugierigen Bevölkerung in der Landschaft.
Wiederum sorgten Truppen der MG-Abteilung im Freikorps Paulsen für die Beschlagnahmung des Geldes nach Hausdurchsuchungen im Kreis Ratibor. Den neuen „Schein-Millionären“, wie Euphemie Schottka, Auguste Zwaka und Anna Zogalla in Rudzisk, hätten diese Scheine sowieso keinen Reichtum beschert, da die Griwna noch keine offizielle Währung darstellte und bei keiner Bank eingelöst werden konnte.

R.71-Wrack-im-Wald-von-Raud R.71 Tankanlage DEHLA R.71 Pilot Vermehr  DEHLA
Der Absturz der R.71 bei Ratiborhammer gibt immer noch Rätsel auf. Der bestätigte Knall kann keinesfalls von der Tankanlage im Rumpf herrühren (Mitte),
da auslaufendes Benzin maximal durch einen elektrischen Funken entzündet werden konnte, aber eben nicht zur Explosion neigte. Wären die zehn Rumpftanks explodiert, hätte es das Flugzeug bereits in der Luft pulverisiert. Der 27 Jahre alte Hermann Vermehr (rechts) war einer der beiden Piloten
des Riesenflugzeugs. Seine sterblichen Überreste wurden nach Kassel überführt.
R.70 internierte Besatzung  DEHLA

Die vorausgeflogene R.70 landete nach einem Flug über die Beskiden, die Hohe Tatra und den Jablunka-Pass planmäßig in Kamenez-Podolsk, dem Sitz der ukrainischen Volksrepublik. Sie flog am 21. August zurück nach Breslau und übernahm am 19. September einen zweiten Geldtransport.
Er scheiterte noch am selben Tag. Benzinwart Willy Kaffka hatte vergessen, die Benzinhähne richtig zu schalten, den fünf Motoren der Staaken war der Sprit ausgegangen, womit eine Notlandung auf rumänischem Gebiet unausweichlich war. Mit der Internierung der Besatzungsmitglieder endete der Einsatz der an die ukrainische Regierung vercharterten Riesenflugzeuge.

Das Unternehmen sollte nun mit zweimotorigen ehemaligen Bombern weitergeführt werden. Von ihrem neuen und näher gelegenen Stützpunkt auf dem Fliegerhorst Gleiwitz flogen mehrere Besatzungen der Deutschen Luft-Reederei mit ihren „Friedrichshafener“ nicht einmal mehr zehn Einsätze bis zum 20. Oktober 1919.

Bis zum Einrücken polnischer Verbände in Kamenez-Podolsk am 15. November 1919 konnte nur ein Bruchteil der knapp 56 Millionen Banknoten ausgeliefert werden, die Griwna kann daher nicht den Status einer offiziellen Währung erlangt haben. Der Versuch des ukrainischen Finanzministers Boris Martos, die wieder in Berlin eingelagerten Griwna-Kisten freizubekommen, schlug während eines Gespräches im Auswärtigen Amt am 30. Dezember 1919 fehl. Letzten Endes wurde aufgrund der fortschreitenden politischen Ereignisse die Masse der Banknoten in Berlin vernichtet.

Wer aber die Augen offenhält, kann 100 Jahre später für kleines Geld noch Griwna-Banknoten bei einem Händler seines Vertrauens erwerben.

Marton Szigeti

Nach der Notlandung von R.70 auf rumänischem Gebiet bei Chotyn, wurde die sechsköpfige Besatzung umgehend festgesetzt und interniert. Sitzend die beiden Piloten Heinrich Schmitz und Henning Tietgen, stehend der Benzinwart Willy Kaffka, Kommandant Hanns-Wolf von Dickhuth-Harrach, unbekannt, Motorenwarte Max Wilhelm und Konrad Polter. Kaffka und Schmitz gelang im Februar 1920 die Flucht nach Deutschland.

Stationsleiter Klickermann und Besatzung R.70 im Auto in Kam.-Podolsk 1919  DEHLA
Verladestation am Flugfeld in Kamenez-Podolsk. Im Fahrzeug des aus Graudenz stammenden Stationsleiters Carl Klickermann (3. von links) sitzen Besatzungsmitglieder der am 4. August eingetroffenen R.70.
2 Griwna Kopie 10 Griwna Kopie 100 Griwna Kopie

Film Bundesarchiv 01Historischer Film aus dem Jahr 1919

Per Zufall konnte in der Filmothek des Bundesarchives dieser Werbefilm der „Flugzeugwerft GmbH, Staaken“ entdeckt werden. Der Film entstand im Frühjahr 1919, um das Riesenflugzeug für die Idee eines regelmäßigen Luftverkehrs zu propagieren. Zu sehen sind R.71 und R.69 in verschiedenen Spielszenen. Hallenausbringung, Flugvorbereitungen, Einsteigen der Passagiere (in Wirklichkeit Direktorium und Angestellte der Firma), Start, Flug und Landung. In den Flugszenen ragt Bordkommandant Wilhelm Meyer mit seinen knapp 1,90 Metern deutlich hervor.

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