Kometen am Himmel verkündeten Jahrtausende lang Katastrophen oder gar den Weltuntergang. Als im Juli diesen Jahres mal wieder einer in das Blickfeld der Erdlinge geriet, nahmen nur wenige überhaupt Notiz von ihm.
Von Marton Szigeti SHOS/OSLM
Auf die Frage: „Und? Auch nach dem Kometen Ausschau gehalten?“ erntete man in den vergangenen Wochen meist fragende Gesichter und die Antwort: „Komet? Welcher Komet?“. Den „Neuen“ hatte Ende März 2020 das Weltraumteleskop WISE am Nachthimmel erspäht. Da der sperrige Katalogname C/2020 F3 schwer zu vermitteln war, verpassten ihm die Astronomen den Namen NEOWISE. Am 23. Juli war der ungebetene Besucher der Erde am nächsten und konnte rund um diesen Termin eine Weile knapp über dem nördlichen Horizont selbst mit bloßem Auge als verwaschener Fleck lokalisiert werden. Aber erst eine Langzeitbelichtung mit Stativ und ordentlichem Objektiv verwandelte den bis dahin kaum wahrnehmbaren Schweif in eine brauchbare Bilddatei. Nun hat sich der fünf Kilometer dicke Brocken verabschiedet und wird erst in etwa 4500 Jahren unser Sonnensystem wieder heimsuchen.
Ungeduldige müssen nicht so lange warten und können in 41 Jahren den Halleyschen Kometen begrüßen, der alle 76 Jahre auf unsere Sonne zurast – zuletzt im Februar 1986. Auch hier hatte der 15 Kilometer breite Riese, von den Medien befeuert, eher für Staunen gesorgt als an die Urängste appelliert. Eine Generation zuvor, im Jahr 1910, sah das noch ganz anders aus. Als nämlich die Astronomen und Mathematiker annahmen, dass die gute alte Erde in der Nacht vom 18. auf den 19. Mai 1910 ihre Bahn durch den Kometenschweif ziehen würde, verkündeten die Aluhutträger jener Tage flugs den Weltuntergang. Ihre unters Volk gebrachte Botschaft besagte, dass die beim Durchgang aus dem Schweif freigesetzte Blausäure in die Atmosphäre gelangen und die Erde entvölkern würde. Rund um den Globus, von Alaska bis Kamtschatka, gerieten viele Menschen in Panik und bereiteten sich betend oder mit einer Gasmaske bewaffnet auf ihr Ende vor. Während die Elite der Astronomen immer noch nicht sicher war, ob die Erde nun durch den Schweif zieht oder nicht, entwickelten Kaufleute jeglicher Couleur „Kometen-Geschäfte“ und zogen leichtgläubigen Bürgern das Geld aus den Taschen.
Auch die Oberschlesier mussten sich in jenen Maitagen mit dem Naturphänomen auseinandersetzen. Erstaunlicherweise gingen die Gleiwitzer mit der drohenden Gefahr locker und gelassen um und ließen sich von der Hysterie nicht anstecken. In zahlreichen Beiträgen wurde der Weltuntergang auf die Schippe genommen, Scherzpostkarten fanden reißenden Absatz und „Maggi´s Sternchensuppe“ wurde zum Renner. Schuljungen sangen frech: „Wir brauchen nix zu lernen, wir leben nicht mehr lang; am achtzehnten Mai ist der Weltuntergang! Am neunzehnten Mai ist alles vorbei!“. Dabei war der Komet bis zur angeblichen Apokalypse noch nicht einmal am Himmel über Oberschlesien zu sehen! Das hatte nicht nur damit zu tun, dass der rauch- und rußgeschwängerte Himmel über dem Industriegebiet möglicherweise nur während der Sonntagsruhe einen ungetrübten Blick zuließ. Halleys Position am nordwestlichen Horizont wurde durch die Dämmerung nach Sonnenuntergang einfach verschluckt. Mit der täglich wechselnden Position sollte er erst am 23. Mai, drei Stunden nach Sonnenuntergang, von den Gleiwitzern entdeckt werden können. Andernorts ging es weniger gelassen zu.
Im osmanischen Üsküp, dem heutigen Skopje in Nordmazedonien, sorgte der Komet bei seinem Erscheinen am 15. Mai für eine Panik, da zufälligerweise mehrere kleine Beben auftraten. Städter und einfache Bauern bereiteten sich auf ihr Ende vor. Für die Frohnaturen in Köln war es dagegen ein willkommener Anlass, um mit amtlichen Segen mal wieder ordentlich zu feiern: „Die Polizeidirektion gibt die Nacht zum 19. Mai für Vergnügen aller Art frei!“ Die Konzertlokale waren überfüllt, man sang ausgelassen Lieder wie „Heute sehn wir uns zum allerletzen Mal“ und begrüßte morgens um zwei den Kometen mit den Worten „Salem-Halley-Kumm“. Ordentlich verkatert stärkte sich das Partyvolk mit einer Kometenschwanzsuppe und einer Milchstraßencreme. Enttäuscht über das Ausbleiben der Katastrophe wankten die Kölner mit dem Liedchen „Et hätt noch immer, immer joot jejange!“ schließlich heimwärts. Die Münchner sahen die Lage dagegen als wirklich existenzbedrohend: Wastl: „Moanst, Seppl, der Komet künd´t an Krieg an, Feuersbrunst, Überschwemmung oder a Epidemie?“ Worauf Seppl orakelte: „Paß auf, wenn er nur net no a Bierpreiserhöhung bedeut´t!“
Dabei verlief die Nacht der Nächte völlig unspektakulär. Weder Polarlichter noch Sternschnuppen waren über Oberschlesien zu sehen, da dichte Wolkenbänder die täglich besser werdende Sichtbarkeit des „Halley“ verhinderten. Viel Zeit blieb nicht mehr, um seinen Kindern und Enkeln aus erster Hand von diesem „Spektakel“ erzählen zu können. Die „Überlebenden“ ließen aber nichts unversucht und pilgerten jede Nacht zum Gleiwitzer Exerzierplatz an der Keithstraße, um mit Operngläsern und Fernrohren jeglicher Art den Unruhestifter ausfindig zu machen. Etliche hundert Menschen waren in den kühlen Morgenstunden unterwegs zu freien Plätzen, Türmen und begehbaren Dächern und machten die Nacht zum Tag. Aber es kam „allens andersch“, denn zu sehen war „nüscht“. Statt dessen gab es eine ordentliche Prügelei, da einige junge Kaufleute es nicht lassen konnten, eine Gruppe den Himmel absuchender Arbeiter zu veräppeln.
Dann endlich, am Sonntag, den 23. Mai, ließ sich der Komet gegen 21 Uhr im Nordwesten Gleiwitz als winziges Lichtpünktchen am Himmel ausmachen. Ausgerechnet an diesem Abend blieben die meisten Schaulustigen aus, und nur eine kleine Schar Unentwegter auf dem Exerzierplatz wurde zusätzlich durch einen kleinen Meteor belohnt, der 21.15 Uhr mit einem lauten „Hallo“ begrüßt wurde. Aufgeschreckt durch die Nachricht, zog es einen Tag später wieder Tausende ins Freie, die sich zuvor einen gleißenden Stern mit prächtigem Schweif ausgemalt hatten, und nur einen schwammigen Fleck vorfanden. Mit dem Alltag einer neuen, tristen Arbeitswoche verblasste der in den Tiefen des Weltraums abtauchende Halleysche Komet schnell. Zurück blieb eine gehörige Portion Augenzwinkern, mit der die Oberschlesier den Rummel um das Himmelsspektakel aufs Korn nahmen: Sie dichteten und texteten was das Zeug hielt.
Eine Kostprobe gefällig?
Wie überall geschrieben steht – kommt bald der Halleysche Komet,
der Erde im Vorüberschweben – mal wieder einen Kuss zu geben.
Verschiedentlich wird prophezeit – dass sich bei der Gelegenheit
(weil solche Kollision nicht gut) vielleicht auch was ereignen tut.
Doch, lieber Leser, sei nicht Bang – Der grause Weltenuntergang
ist nichts als eitel Theorie – der überhitzen Phantasie.
Ich wette dass in 14 Tagen – wir immer noch voll Wehmut klagen,
das Leben sei nur bittre Qual – und diese Welt ein Jammertal.
Obgleich auch alles, was besteht – wert ist, dass es zugrunde geht,
glaub nicht, dass nunmehr alles stirbt – weil Unkraut einfach nicht verdirbt!
Das merkt euch nur, ihr Weltverächter – wird diese Welt zunehmend schlechter,
wird sie auch schwerlich annulliert, weil alles schlechte triumphiert!
Doch Scherz beiseit; es wär ganz recht – wenn manches, was da morsch und schlecht
und uns bedrückt als schwere Bürde – von dieser Welt verschwinden würde.
So könnte gleich zum Teufel gehen – was wir bis 1910
an Schuldenlasten (brr, mir graut) – im Deutschen Reiche aufgebaut.
Verschwinden könnten alle Zöpfe – (nur die nicht unsrer Mädchenköpfe)
und Paragraphen, so nicht frommen – (der elfte vielleicht ausgenommen).
Was schlecht gemalt und schlecht gedichtet – von Sängerinnen angerichtet,
von Komponisten ward gesündigt – bekomme von Komet gekündigt.
Verschwinden könnten Extrazüge – voll Schein und Trug, Verrat und Lüge,
Gemeinheit, Haß und Schlechtigkeit – kurz, alles Faule unserer Zeit.
Gesäubert würden wir dann schreiten – ins Märchenland der goldenen Zeiten
und Jubelnd rufen: „Freunde seht – das Tat der Halleysche Komet“.
Marton Szigeti